Die SARS-CoV2-Pandemie mit den verbundenen Maßnahmen wirkt sich seit über einem Jahr auf das gesamte Kindergarten- und Krippensystem und somit auch auf die Familien von Kindergarten- und Kinderkrippenkindern aus. Das ICKE-Projekt (Internationale Corona-Kita-Erhebung) ist ein internationales Kooperationsprojekt zwischen der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin Berlin und dem Internationalen Zentrum für Professionalisierung der Elementarpädagogik (PEP) der Universität Graz mit den Standorten Graz und Berlin. In dieser Studie wurden im Rahmen von zwei Onlinebefragungen (gerichtet an Familien und Kita-Leitungen bzw. Leitungen von Kindergärten oder Krippen) die Verbreitung und Auswirkungen der Covid-19-Infektionen in Kitas, Krippen und Kindergärten in Deutschland, Österreich und der Schweiz in der zweiten Welle (August 2020 bis Januar 2021) untersucht. Die Befragungen fanden von Ende Januar bis März 2021 statt.
Um eine möglichst hohe Anzahl an leitenden Pädagog:innen und Familien zu erreichen, wurde der Link zum Online-Fragebogen mittels Schneeballprinzip in den digitalen Netzwerken geteilt. Das Beteiligungsinteresse war bei beiden Befragungen sehr groß. Insgesamt nahmen 3.619 Leitungen von Kindertageseinrichtungen bzw. Krippen und Kindergärten an der Erhebung teil. In 50% der an der Studie teilnehmenden Einrichtungen trat im abgefragten Zeitraum mindestens eine nachweisliche COVID-19-Infektion (nachgewiesen durch positives Testergebnis) auf. An der Familienbefragung beteiligten sich insgesamt 16.756 Familien. Die Auftretenshäufigkeit von COVID-19-Infektionen lag bei den Familien bei 4,3%.
Obwohl nur wenige Haushalte direkt von Covid-19-Infektionen betroffen waren, ist die Belastung, die Familien durch die Pandemie empfinden, insgesamt als hoch einzustufen. Auf die Frage, wie hoch sie die Belastung während der Lockdown-Phase auf einer zehnstufigen Skala bewerten würden (10= extrem hohe Belastung) gaben 73% der Familien einen Wert von sechs oder höher und nur 15,7% einen Belastungswert von vier oder niedriger an.
In rund 4.300 offenen Statements beschreiben die Familien mit jungen Kindern im Krippen- und Kindergartenalter, wie sie die Situation während der Pandemie erlebt haben und erläutern, woher der eingeschätzte Stress für Eltern und Kinder kommt:
Viele der Familien, nennen hier konkret die Doppelbelastung durch pandemiebedingte Schließungen der Einrichtungen. Die Arbeit im Homeoffice bei zeitgleicher Kinderbetreuung führt dazu, dass die Familien das Gefühl haben, den Anforderungen kaum gerecht werden zu können.
„Das Arbeiten im Homeoffice ist mit Kindern im Kindergartenalter nahezu unmöglich. Die Arbeit muss entweder liegen gelassen oder in die Abend-/Nachtstunden gelegt werden. Dementsprechend ist die Belastung [..] durch Kinder / Arbeit /Haushalt extrem hoch.“
Darüber hinaus kommt es bei Eltern zu „Existenzängsten“, da die Kinderbetreuung zu Hause mit dem eigenen Job nicht vereinbar ist.
„Ich kann meinen Beruf nicht mehr zufriedenstellend ausüben und musste Stunden reduzieren.“
Ebenfalls als sehr bedrückend, wird von zahlreichen Familien die Sorge um die Entwicklung der Kinder durch die angespannte familiäre Situation und die fehlende Bildung und Förderung in der Kita bzw. dem Kindergarten oder den Krippen empfunden. Dagegen als entlastend beschreiben Familien mit Anspruch auf Notbetreuung ihre Situation, da diese den Familien ermöglicht, den Alltag aufrecht zu erhalten und Stress zu vermindern. Sie äußern sich sehr dankbar über diese Möglichkeit.
„Mit dem oben genannten Lockdown meine ich die komplette Kita-Schließung ab März 2020, als wir unser Kind nicht in die Kita geben konnten. Das war eine sehr große Herausforderung Arbeit und Familie unter einen Hut zu bekommen. Ich bin dankbar, dass wir danach die Notbetreuung in Anspruch nehmen konnten. Sonst hätten wir das nicht schaffen können.“
Die Schließungen der Einrichtungen haben aus Sicht der meisten befragten Familien eine große Auswirkung auf das Wohlergehen, die Entwicklung und die frühkindlichen Bildungsmöglichkeiten ihrer Kinder. Hunderte von Familien bemerken mit zunehmender Länge bzw. Häufung von Lockdowns psychische bzw. sozio-emotionale Veränderungen bei ihren Kindern, die oft als „Wesensveränderungen“ umschrieben werden. Dazu zählen Gereiztheit, Lustlosigkeit und auch Traurigkeit. Auch in Bezug auf die physische, motorische sowie die sprachliche Entwicklung werden von manchen Familien Veränderungen geschildert. Von vielen der Familien (über 1.000 Nennungen) wird dies mit den Kita- bzw. Krippen- oder Kindergartenschließungen und der daraus resultierenden fehlenden Abwechslung und den mangelnden Sozialkontakten in Verbindung gebracht. Ein Elternteil äußert seine Erfahrung – die Aussage steht stellvertretend für viele andere Familien - folgendermaßen:
„Für meine Kinder war der lange Lockdown eine extreme Belastung, vor allem psychisch. Mein 3-jähriger Sohn war zum Teil nicht mehr er Selbst! Er saß oft total deprimiert am Boden und hat geweint, weil er seine Freunde vom Kindergarten und die ganze Kita vermisst hat (hat er selbst gesagt)“.
Zahlreiche Familien betonen den Wert der Kindertageseinrichtung in Bezug auf die Freundschaften ihrer Kinder.
„Am Schlimmsten sind die Wochen, wo die Kinder nicht ihre Freunde über den normalen Kindergartenalltag sehen können.“
Generell wird die Bedeutung von sozialen Kontakten zu Gleichaltrigen betont. Der Tenor lautet hier:
„Kinder brauchen Kinder.“
Darüber hinaus heben Eltern hervor, wie wichtig neben dem Kontakt zu Gleichaltrigen, auch der zu den pädagogischen Fachkräften als wichtige Bezugspersonen ist. Viele Befragte befürchten langfristige und gravierende Folgen auf die Entwicklung ihrer Kinder und hoffen auf adäquate Unterstützung durch die Bildungseinrichtungen.
„Ich mache mir Sorgen, dass die Folgen für die soziale Entwicklung der Kinder größer sind, als momentan abzuschätzen ist. Daher hoffe ich, dass die Kinder später in den Einrichtungen gezielt abgeholt und betreut werden. Zuhause ist das nur bedingt möglich.“
Einige der Befragten wünschen sich, dass Kindeswohl und Kinderrechte in der Pandemie wieder mehr in den Fokus genommen werden, auch in Bezug auf die Kitaschließungen. Von vielen Familien wird explizit die Relevanz von Kindertageseinrichtungen in Bezug auf das Wohlergehen der Kinder angesprochen. Einige Eltern äußern zudem Sorge, dass ihren Kindern die Chance auf Bildung und damit ein (Grund-)Recht genommen wird. Sie betonen, dass die Kindertagesstätte eine Bildungseinrichtung ist und von der Politik nicht mehr als solche wahrgenommen, sondern vielmehr aktuell „nur“ als Betreuungseinrichtung verstanden wird.
Eine individuelle Förderung, wie sie durch das Lernumfeld in der Kindertageseinrichtung stattfindet, kann nach Meinung vieler Eltern durch die alleinige Betreuung zu Hause nicht gewährleistet werden.
„Es sei schier unmöglich all das aufzufangen, was Kita, [Schulen und Freizeitangebote] bieten.“
Vor allem Familien mit Kindern im Jahr vor der Einschulung sowie von Kindern mit Förderbedarf bewerten die Situation als herausfordernd oder gar bedrohlich, da auch keine speziellen Förderungen wie z.B. Logopädie, Ergotherapie oder Vorbereitungen zum Übergang in die Grundschule mehr stattfinden.
Für die Kindertageseinrichtungen finden viele Familien wertschätzende Worte, sie sind dankbar für die Unterstützung in Form von Angeboten wie E-Mails, Beratung, Bastelanleitungen uvm. und einige Familien betonen, dass die pädagogischen Fachkräfte und Einrichtungen viel Gutes leisten, um für die Kinder einen möglichst normalen Alltag zu gewährleisten.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Schließung von Kindertageseinrichtungen von Familien nicht ohne Weiteres ausgeglichen werden kann und zu einer hohen Belastung und Sorge bei den befragten Familien führt. Es wird deutlich, dass die befragten Familien die Wichtigkeit der außerfamiliären Betreuung in Einrichtungen der frühen Bildung für die Förder- und Bildungsmöglichkeiten, für die Sozialisation, für eine gesunde psychische Entwicklung, sowie für die körperliche, motorische und sprachliche Entwicklung von Kindern sehr hoch einschätzen.
Arbeit unter herausfordernden Bedingungen
Die Leitungen der Kindertageseinrichtungen wurden (ebenso wie die Familien) nach der Belastung, die sie durch die Pandemie und den dadurch bedingten Lockdown empfunden haben, auf der zehnstufigen Skala befragt. Die Ergebnisse weisen auf ein extrem hohes Belastungsempfinden hin. 90% geben hier einen Wert ab sechs und höher an, gut ein Fünftel sogar den Maximalwert 10.
Da es in jeder zweiten Einrichtung an Covid-19 erkrankte Personen gab, sind Fachkräfte in Krippen und Kindergärten bzw. Kitas täglich einem hohen Risiko ausgesetzt. Um zu schauen, auf welchem Weg die Infektion sich ausgebreitet hat, wurde danach gefragt, welche Personengruppen zuerst Symptome bzw. ein positives Testergebnis aufwiesen. In 57% der Fälle wurden Personal als Erstsymptomträger:innen identifiziert. Anders als für die erste Welle angenommen, zeigen die Ergebnisse jedoch, dass in 43% der befragten Einrichtungen auch Kinder als Erstsymptomträger und somit wahrscheinlich als Überträger der Infektion auftraten. Sinnvolle Schutzkonzepte sind gerade in diesem Feld somit unerlässlich – auch in den kommenden Wochen und Monaten.
Schutzkonzepte in Kitas, Kindergärten oder Krippen
Für die nächsten Wochen und Monate sind im öffentlichen Raum Öffnungsschritte angekündigt und größere Bevölkerungsgruppen werden geimpft sein. Immer wieder tritt die Frage auf, was dies nun für die Arbeit in Krippen, Kindergärten bzw. Kitas bedeutet und welche Maßnahmen sinnvoll sind und auf welche Maßnahmen auch verzichtet werden kann. Auf der Basis des aktuellen Forschungsstandes und im Hinblick auf die deutlich ansteckendere nun dominierende Variante des SARS-CoV2 Virus empfehlen wir weiterhin folgende Punkte für den Alltag in Einrichtungen umzusetzen: Regelmässiges Lüften der Räumlichkeiten, kleine Gruppen mit festen Betreuungspersonen, Kontakte minimieren.
Mit diesen einzuhaltenden Grundregeln können Ansteckungen über Gruppen hinweg reduziert und der pädagogische Alltag innerhalb der Gruppe weitestgehend normal gelebt werden.
Wie oben beschrieben, ist es für Kinder wichtig, dass sie in stabile soziale Netzwerke eingebunden bleiben und auch täglich vielfältige Lern- und Spielmöglichkeiten vorfinden. Dies kann in den ersten Lebensjahren gewährleistet werden, wenn Kinder eine qualitativ hochwertige Kita bzw. Krippe oder Kindergarten besuchen dürfen. Ein solcher Einrichtungsbesuch unterstützt das psychische Wohlbefinden sowie die kindliche Entwicklung.
Kontakt
Standort Deutschland: info(at)zentrum-pep.de +49 30 255588811
Standort Österreich: pep(at)uni-graz.at +43 316 380 3658